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ERFAHRUNGSBERICHTE

Die Empfehlung des Elternkreises kam von der Suchtberatungsstelle.
Nicht immer gibt es im persönlichen Umfeld Verständnis für die Situation mit einem
suchtgefährdeten oder suchtkranken Kind, umso wertvoller ist der Austausch mit anderen
betroffenen Eltern.

Edith aus Sinzig, 03. Januar 2022

Wie meine Frau und ich zum Elternkreis nach Bad Neuenahr gekommen sind?
Na, das ist im Grunde eigentlich leicht zu beantworten: Weil unser Sohn Paul
drogensüchtig ist. Aber, das ist nur der Anlass. Warum aber ein solcher Kreis von,
meist laienhaften Eltern – zumindest, was eine professionelle Suchtberatung
angeht...?
Nun, dazu gibt es einige Gründe. Wir hatten unseren Sohn Paul, zusammen mit
seiner Schwester Lilly im Baby-Alter in Indien adoptiert. Und damit hatten wir uns
den starken, inneren Wunsch erfüllt, endlich eine vollständige Familie zu haben.
Uns, den Eltern, war nämlich eröffnet worden, dass wir wohl nicht mit eigenen Kindern gesegnet würden. Diese ärztliche Feststellung hatte in uns zunächst große Trauer, dann
den Entschluss zu Adoption hervorgerufen. Und nun das: Paul ist mit etwa 15
Jahren süchtig geworden. Drogen! Ja, bereits auf dem Schulhof wurde da schon
gehandelt, und Paul war da absolut geschäftstüchtig. Vielleicht, weil in seinen
Adern indisches Blut fließt? Oder hatten wir Eltern da etwas übersehen? Hatten
wir ihn vielleicht falsch erzogen? Zunächst trösteten wir uns damit, dass in
pubertären Alter so Manches wohl probiert und passieren muss. Aber das vergeht
ja ! Es kam aber anders. Paul ist nicht nur drogensüchtig; er hat sich inzwischen
längst mit dem Alkohol zusätzlich angefreundet! Und das alles tut er heute
noch intensiv, mit fast vierzig Jahren. Wir, die Eltern, fühlen uns machtlos und
sehr traurig. Wir lieben Paul nämlich sehr und seine flotte, quirlige Art, mit der er
uns zu begeistern vermag. Aber so haben wir uns die Adoption und auch Paul
nicht vorgestellt...
Birgit und ich haben in unseren früheren Jahren ebenfalls getrunken, waren dann
aber nach der Adoption über Selbsthilfe und Kliniken wieder „trocken“ und
nüchtern geworden. Nicht nur das: Wir haben in diesem Prozess des Nüchtern-
werdens uns selber gründlich kennen gelernt: Welch hoher Wert es nun ist, in
Klarheit und Aufmerksamkeit die Welt zu erkennen, neu zu bestimmen und zu
handeln. Wir haben es, zusammen mit vielen anderen Menschen erfahren und
erlernt. Wir haben uns offen bekannt, sind ebenso ehrlich mit diesen Freunden –
vor allem mit uns selbst umgegangen.
Ja, und was bringt uns heute der Elternkreis? Der Elternkreis in Bad Neuenahr ist
ebenso ein Treff, bei dem Menschen sich gegenseitig über ihre innersten Gefühle
austauschen können. Ja, das hat zunächst zwar den „Geruch“, da bestenfalls ein gemeinsames Jammern anzutreffen und sei somit eigentlich nur was für Unentschlossene... Wir selber haben da aber unsere eigenen Erfahrungen aus den Alkoholikergruppen
mitbringen können und sind glücklich, sie hier –im Elternkreis wieder erleben und
anwenden zu können. Hier können wir uns auch wieder ganz öffnen und von Innen heraus
berichten. Wir hören uns gegenseitig zu mit großer Anteilnahme, doch ohne
„Beratschlagung“. Wir haben dabei das Gefühl, verstanden zu werden.
„Fachberatungen“ liefert uns dabei eine Suchttherapeutin. Wir spenden uns
gegenseitig Trost, Kraft und Hoffnung. Denn wir Eltern sind selber Suchende. Unsere Kinder wollen ja ihre eigenen Wege gehen – sie müssen es sogar! Wir selber brauchen diese gegenseitige Unterstützung.
„Kranke Eltern sind keine guten Eltern“ sagt man bei den Anonymen
Alkoholikern.Es kommt für uns Beide, Birgit und Richard, noch etwas
Wunderbares hinzu: Wir fühlen uns im Elternkreis daheim. Hier sind wir
Menschen unter Menschen. Wir haben in der Not zusammengefunden.
Danke

Birgit und Richard aus R., 16. Februar 2022

Ich bin sehr dankbar, dass es den Elternkreis gibt. Beim ersten Mal, als mein Mann und ich uns getraut haben, dorthin zu gehen, war außer uns nur die Elternkreisleitung anwesend. Wir haben uns sofort verstanden gefühlt und waren froh, dass wir über unsere Sorgen sprechen konnten. Wir hatten bereits eine schlimme Zeit hinter uns. Unser Sohn Justus war gerade mit einer durch Drogen ausgelösten Psychose in der Psychiatrie und wir wussten nicht mehr weiter. Wir haben uns schuldig gefühlt und ständig darüber nachgedacht, was wir alles falsch gemacht haben und suchten Rat und Unterstützung. Wir wussten nicht mehr weiter und waren völlig am Ende.

Das war 2016. Seitdem sind fast 6 Jahre vergangen. Wir mussten viele Höhen und Tiefen durchstehen. Justus ist nach mehreren Rückfällen, Psychiatrieaufenthalten und Therapien seit 2,5 Jahren auf einem guten Weg.
Der Elternkreis, den ich regelmäßig besuche, hat mir sehr geholfen, diese schwere Zeit zu überstehen und zu lernen, mit der Situation umzugehen. Im Elternkreis sind Menschen, die ähnliches erlebt haben. Sie erzählen, wie sie mit Situationen umgegangen sind und haben mir Mut gemacht, bestimmte Wege zu gehen. Dabei geht es nicht darum, dass Ratschläge erteilt werden, denn jeder Mensch und jede Situation ist anders. Ich habe gelernt, dass es nicht nur einen Weg gibt. Hilfreich ist auch der Besuch einer Suchttherapeutin, die den Elternkreis gelegentlich besucht, aus ihrer Perspektive berichtet und zusammen auf die eigene Situation schaut.
Ich habe erlebt, dass es auch bei den anderen immer wieder Höhen und Tiefen gibt und dass wir die Sucht unserer Kinder nicht einfach mit einem Patentrezept abstellen können. Wir alle lernen im Elternkreis loszulassen, dass wir unser Leben wieder selbst in die Hand nehmen und durch Eigenfürsorge Kraft gewinnen und damit nicht nur uns selbst, sondern auch unseren suchtkranken Kindern helfen.

Gisela aus Bad-Neuenahr, 04.07.2021

(Anmerkung der Redaktion: Die Namen wurden zur Wahrung der Anonymität geändert.)

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